03 Sep
03Sep

Es ist schon seit einigen Jahren so, dass in Debatten das Argument durch Haltung ersetzt wird. Ein schwerer Webfehler, um nicht zu sagen: eine Laufmasche im Geflecht des politischen Diskurses. Um es beispielhaft zu machen: Schon weil jemand Mitglied der AfD ist, wird er niedergebrüllt, und nicht, weil sein Argument schwach ist. Schon weil jemand alt, weiß und männlich ist, wird er angegriffen, nicht etwa, weil sein Standpunkt kritikwürdig ist. Schon, weil jemand Helmut Kohl heißt, wird er als Birne verballhornt, und nicht etwa…. – Nun, zugegeben, das letzte Beispiel liegt 40 Jahre zurück. Das Strickmuster war aber das Gleiche: Um Kritik zu üben, reicht es, sich selbst auf die moralisch vermeintlich höhere, bessere Position zu stellen. Ist dieser Schritt erst einmal getan, muss man gar nicht mehr um Argumente, Standpunkte, Ideen, Denkansätze streiten.

Was wohl Voltaire sagen würde? Von ihm stammt das Zitat: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Besser hat noch keiner das Prinzip der freien Meinungsäußerung in einer Demokratie auf den Punkt gebracht. Man spürt einen beachtlichen Sportsgeist in diesem Bonmot. Heute ist dagegen sehr viele Unfairness unterwegs. Leider tragen die Medien, gerade die deutschen „Leitmedien“ (FAZ, SZ, ARD, ZDF, ZEIT, SPIEGEL, FOCUS, BILD etc.) ihrerseits viel dazu bei, die eigene – und natürlich moralisch integre - Haltung vor und über die sachlich-sportliche Auseinandersetzung zu stellen.

So gesehen muss man sich nicht wundern, wenn (zugegebenermaßen: intellektuell deutlich schwächere Protagonisten) über „die“ Lügenpresse schimpfen. Gerade die Gescholtenen müssten hier (weil intellektuell ja deutlich besser aufgestellt) mit größter Gelassenheit und Sachlichkeit agieren. Doch Fehlanzeige: Die eigene, bessere Haltung lässt einen sachlichen Disput gar nicht zu.

Eine andere Facette des immer schlechter werdenden demokratischen Diskurses ist die Sprache der Political Correctness. Das Phänomen machte sich zunächst in den 1980er Jahren in den USA, dort vor allem im Hochschulbetrieb, und später auch bei uns breit. Es begann damit, dass von „Bürgerinnen und Bürgern“ anstelle von Bürgern gesprochen wurde. Heute wird selbst in Hörfunknachrichten das Gender-Sternchen mitgesprochen, wenn von Wissenschaftler*Innen die Rede ist. Und natürlich heißt es Studierende anstelle von Studenten; es heißt Teilnehmende anstelle von Teilnehmern – und sofort.

Doch wem eigentlich ist damit geholfen? Klar wird nur: wer die politisch korrekte Gender-Sprache nicht benutzt, steht moralisch schon mal auf der falschen Seite. Wer sie jedoch benutzt, garantiert damit noch lange nicht, dass er der Minderheit, die vermeintlich durch die politisch korrekte Sprache besonders beachtet und geachtet werden soll, tatsächlich hilft, sich weiter und besser zu entwickeln.

Damit ist politisch korrekte Sprache nichts weiter als das gute alte „Hauptsache, dass wir mal drüber gesprochen haben…“. Und wie die oben erwähnte moralisch vermeintlich richtige Haltung nicht die argumentative Auseinandersetzung ersetzt, so ersetzt die politisch korrekte Sprache nicht die Emanzipation von Minderheiten. Was bleibt?  - Machen, nicht Quatschen.

Ewald Prünte

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